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Sourtoe-Cocktail

Wer einen Sourtoe-Cocktail trinken will, muss sich wie die Goldsucher zur Zeit des großen Goldrausches 1989 auf den Weg nach Dawson City am Ostufer des Yukon machen. Die kleine, denkmalgeschützte Goldgräberstadt in Kanadas Nordwesten an der Grenze zu Alaska ist nicht weit entfernt vom nördlichen Polarkreis. Damals wollten Hunderttausende Goldgräber in Dawson City ihr Glück finden. Heute zieht es hart gesottene Männer aus aller Welt in den eiskalten Norden, weil sie eine sehr eigenwillige Mutprobe bestehen wollen.

Ein Getränk mit Kultstatus

Der ungewöhnliche Sourtoe-Cocktail wird seit Anfang der Siebzigerjahre täglich zwischen neun und elf Uhr abends in der Bar des Downtown Hotels als hauseigene Spezialität serviert. Er hat sich international schnell einen Namen als ekelhaftester Drink der Welt und Dawson City um eine Touristenattraktion reicher gemacht. Gut hunderttausend Menschen sollen sich inzwischen getraut haben, dem seltsamen Trinkritual zu folgen und den Cocktail zu kosten.

Eine der zwei Zutaten hat es in sich

Dabei ist die Zutatenliste für den klassischen Sourtoe-Cocktail sehr überschaubar: Ein Schluck hochprozentigen Alkohol nach Wahl - meistens ist es Whisky - und ein getrockneter Zeh eines Menschen, der vorher mindestens einen Monat lang in Salz eingelegt wurde, um ihn zu dehydrieren und zu konservieren. Sonst wird der Schrumpelzeh weich und droht zu zerfallen.

"You can drink it fast, you can drink it slow, but your lips must touch the toe"

Besonders delikat und bizarr ist die oberste Regel, die beim Trinken gilt: Der Zeh, der in dem alkoholischen Getränk schwimmt, muss mit den Lippen berührt werden. Der Barkeeper wacht mit Argusaugen über die Einhaltung der Regel. Gäste, die davor nicht zurückschrecken, bekommen anschließend als Belohnung eine Urkunde ausgehändigt und werden als Mitglied in den extravaganten Sourtoe Cocktail Club aufgenommen.

Die Schnapsidee beruht auf einem Zufallsfund

Der Erfinder des Sourtoe-Cocktails ist Captain Dick Stevenson aus Dawson City. In einer verlassenen Hütte entdeckte er 1973 zufällig einen menschlichen Zeh in einem Einmachglas. Der Zeh stammte von einem Goldgräber namens Louie Liken. Sein Bruder Otto soll ihm die erfrorene Zehe in den Zwanzigerjahren mit einer Axt amputiert haben, während die Brüder Alkohol über die kanadisch-amerikanische Grenze schmuggelten. Denn für einen Arztbesuch blieb ihnen dabei keine Zeit. Zur Erinnerung an die Begebenheit hat Louie die Zehe danach in Alkohol eingelegt und aufbewahrt.

Gemeinsam mit seinen Kumpeln kreierte Stevenson dann nach einer durchzechten Nacht den Sourtoe-Cocktail. Die Freunde gründeten den sehr exklusiven Sourtoe Cocktail Club und ließen sich das seltsame Trinkritual einfallen, über das der Gast vor dem Genuss des Getränks belehrt wird. Neben der Lippen-Regel gibt es auch Verbote, die beim Trinken gelten. Wer den Zeh in den Mund nimmt oder verschluckt, muss eine Strafgebühr von derzeit 2500 Dollar bezahlen.

Anfang November 2020 starb der Erfinder des Sourtoe Cocktail, Captain Dick Stevenson, im Alter von 89 Jahren. Gegenüber dem Sender CBC teilte die Tochter des Verstorbenen den letzten besonderen Wunsch mit. Seine Zehen sollen konserviert und ebenfalls dem Sourtoe-Cocktail-Club gespendet werden. So sagte sie: "Ich bin ziemlich sicher, dass ich die einzige Tochter in der Geschichte bin, die dem Willen meines Vaters folgend dafür sorgen muss, dass seine Zehen entfernt und getrocknet werden und es bis nach Dawson City schaffen müssen.“

Die Barbetreiber beklagen die Verluste

Diese Vorsichtsmaßnahme war und ist berechtigt. Denn im Lauf der Jahrzehnte sind immer wieder konservierte Zehen verschwunden. Schon den ersten Zeh von Louie Liken soll ein Mann in den Achtzigerjahren beim dreizehnten Glas Champagner versehentlich verschluckt haben. Angeblich sind seitdem mindestens sieben oder acht weitere Zehen von Gästen entweder verschluckt, verloren gegangen oder gestohlen worden.

Ein reumütiger Dieb sorgte für Schlagzeilen

Besonderes öffentliches Aufsehen erregte ein Fall, bei dem sich ein Dieb nachträglich entschuldigt und per Post den mumifizierten Zeh an das Downtown Hotel zurückgeschickt hat. Der Täter blieb laut der Polizei in Yukon straffrei. Den aus gesundheitlichen Gründen amputierten Zeh hatte ein Mann aus Dawson City gespendet. Weitere Zehen waren Spenden von Einwohnern der Stadt nach ihrem Ableben.

für solche Fälle hält die Hotelbar immer einen Zeh als Ersatz bereit

Der erste Tourist, der einen Zeh allem Anschein nach absichtlich verschluckt und damit gezielt gegen das Verbot verstoßen hat, war vor einigen Jahren der amerikanische Tourist Josh Clark. Er ließ sich den Zeh in einem Whisky und zusätzlich ein Glas Bier servieren. Wie ein Video des kanadischen Senders CBC zeigte, hatte sich Clark den Verhaltenskodex des Trinkrituals vorlesen lassen, den Whisky getrunken und dann den Zeh mit dem Bier hinunterspült. Während seine Kumpel im Hintergrund grölten, bezahlte er anschließend anstandslos die Strafgebühr von damals noch fünfhundert Dollar.

Spendenaufruf im Internet

Nach diesem unerhörten Regelverstoß wurde nicht nur die Strafgebühr um zweitausend Dollar erhöht. Das Downtown Hotel kümmert sich seitdem auch aktiv um Nachschub an - bevorzugt großen - Zehen, die äußerst rar sind. So gab es auf der Website des Hotels einen Aufruf, in dem künftigen Spendern für die milde Gabe versprochen wurde, in die sogenannte "Sourtoe Hall of Fame" aufgenommen zu werden.

Dawson City hatte zudem die Aktion für Werbung in eigener Sache genutzt und Usern angeboten, auf der Facebook-Seite des Fremdenverkehrsbüros Fotos ihrer Zehen hochzuladen. Als Gewinn winkte eine Reise in das Goldgräberstädtchen.

Captain Dick Stevensons besonderes Vermächtnis

Nach Angaben der Mitglieder des Sourtoe Cocktail Clubs sollen im Lauf der Jahrzehnte zehn Zehen als Spenden eingegangen sein. Stevenson wird jetzt zusätzlich für Nachschub sorgen. Denn der Erfinder des Sourtoe-Cocktails ist Mitte November dieses Jahres im Alter von neunundachtzig Jahren gestorben. Laut seiner Tochter hat er noch vor seinem Tod verfügt, dass auch seine Zehen ebenfalls konserviert und als Spende an den Sourtoe Cocktail Club gehen sollen. Anlässlich seines Ablebens wurde Stevenson von Dawson City auf Twitter ausdrücklich für seine Verdienste um seine Heimatstadt gewürdigt.